Montag, 21. Dezember 2020

Seelenbücher



Kürzlich habe ich erzählt, wie ich zum Buchbinden fand und erwähnte in dem Blogeintrag die Seelenbücher. Ich finde, dass sie einen eigenen Eintrag verdient haben, denn ich widmete den Seelenbüchern nicht nur auf kreative Art und Weise meine Zeit.

Die Seelenbücher waren ein Projekt von ein paar Mädels in einer gemeinsamen WG in Köln, die über die Plattform livejournal.com eine Community gegründet hatten, um Interessierte zu finden, die mitmachen wollten. Die Idee war, leeren Büchern durch kreative Einträge Seele einzuhauchen, daher der Name "Seelenbücher". Bücher mit Seele.

2002 begann das Projekt. Als ich 2005 dazu stieß, war die Community schon recht gut gewachsen und erfreute sich großer Beliebtheit. Es gab bereits viele Bücher, die unterwegs waren, und die Wartelisten waren recht lang. Es dauerte eine Weile, bis man das erste Seelenbuch in Händen halten konnte, um sich darin ebenfalls zu verewigen, aber was war das für eine Besonderheit. So unfassbar schöne Bücher waren das, so kostbar und besonders, wenn man endlich die Ehre hatte, die nächste Person auf der Liste zu sein, die ein Buch erhalten sollte.

Das Sonnenblumenbuch - das erste ging auf dem Postweg verloren




Sogar eine eigene Webseite wurde irgendwann programmiert und online gestellt, um dem großen Andrang der Interessierten gerecht zu werden. Zu kompliziert und aufwändig wurde irgendwann das Austauschen von Informationen über die Community. Es wurde schwierig, die Buchwege zu verfolgen und den Überblick zu behalten, wer sich für welches Buch eingetragen hatte und als nächstes an der Reihe war. Adressen mussten per Kommentar oder Mail ausgetauscht werden, was nicht immer reibungslos klappte. Mit der Webseite wurde vieles einfacher und übersichtlicher und sie sollte helfen, dass alles reibungsloser klappte.

Das kleine Herbstbuch



Falls ihr dem Link zur Community oder Webseite gefolgt seid, werdet ihr festgestellt haben, dass die Seelenbücher nun schon seit vielen Jahren nicht mehr aktiv sind. Was ist passiert? Ich grübele nach so langer Zeit manchmal noch darüber nach, wieso die Seelenbücher irgendwann "gestorben" sind.

Mit dem Wachsen der Community wuchsen leider auch die Probleme. Fristen wurden nicht eingehalten, obwohl es doch so einfach schien, die Frist für ein Buch zu verlängern oder das Buch an die nächste Person weiterzugeben, wenn man merkte, dass man doch keine Zeit hatte. Zumindest dachte man das - für einige schien es jedoch eine unüberwindbare Hürde zu sein.

So blieben immer häufiger Bücher bei Personen hängen und reisten einfach nicht weiter. Die Gründerinnen mussten immer häufiger "Problemfälle" bearbeiten, sprich immer wieder anschreiben oder gar anrufen und nachfragen und darum bitten, dass die Bücher doch bitte weiter geschickt werden. Trotzdem sind bis heute einige Bücher verschollen geblieben. Man muss zugeben, dass das aber auch z.T. Schuld der Post war, weswegen viele Bücher irgendwann die Bedingung hatten, per Einschreiben verschickt zu werden, um besser nachforschen zu können, was auf dem Postweg passiert ist.

Memorial - ein Buch in Gedenken an liebe Menschen




Ich glaube, dass mehrere Faktoren am Ende dazu beitrugen, dass das Ende der Seelenbücher eines Tages bevorstand. Könnte es eine Rolle gespielt haben, dass die Mitglieder der Community überwiegend zwischen 16 und 30 Jahren alt waren, mehrheitlich Schüler, Studenten oder junge Berufstätige? Wenn ich mich nämlich jetzt so auf vielen Kreativblogs umschaue, die erfolgreich ähnliche Buchprojekte vollführen, sind die meisten Beteiligten dann doch eher schon älter - sie stehen voll im Leben, sind im Normalfall in der Lage, die Versandkosten zu tragen, und vor allem nehmen sie sich meist bewusst Zeit für ihre Kreativität. Hoffentlich fühlt sich niemand von dieser Theorie auf den Schlips getreten - vielleicht täusche ich  mich auch völlig. ;)

Vielleicht kam hinzu, dass die Idee am Anfang für jeden neu und aufregend war und irgendwann einfach abebbte? Vielleicht waren manche dann doch enttäuscht von dem, was sie in Händen hielten, und maßen der Sache weniger Besonderheit zu als andere? Vielleicht wurden es irgendwann zu viele Mitglieder und das Projekt nur noch schwer beherrschbar? Immer mehr Regeln waren notwendig - vielleicht wurde das manchen einfach zu viel?

Schicksalsbuch



Jedenfalls wuchs der Frust mit der Zeit immer mehr. Einige der Gründerinnen, die sich um das Projekt kümmerten, wollten einfach nicht mehr und waren müde vom fruchtlosen Nachforschen. Ich bot mich an, einzuspringen, weil mir das Projekt am Herz lag. Ich mühte mich ab, nach den Büchern zu forschen, damit jedes irgendwann den Weg zurück zu seinem Besitzer finden würde.

Auch der Frust bei den Mitgliedern wuchs mit der Zeit und das Interesse wurde weniger. Viele waren enttäuscht, weil ihre Bücher auf der Strecke blieben. Viele mussten sich eingestehen, dass sie nicht die nötige Zeit hatten, den Büchern die Aufmerksamkeit zu widmen, die sie verdienten, und zogen sich aus Respekt vor den Besitzern lieber zurück. Vielen wurde das Projekt auch einfach zu teuer, denn es waren auch richtig große, schwere Bücher dabei, häufig mit Zusatzkosten für Einschreiben. Außerdem gab es Mitglieder im Ausland, das Porto dorthin war natürlich noch viel teurer - für viele Schüler und Studenten irgendwann einfach nicht mehr bezahlbar.


Gedichtband



Es gab zwar immer neue Bücher, die Begeisterte auf den Weg bringen wollten, doch es gab immer weniger Mitglieder, die bereit waren, sich einzutragen. Das einstmals rege Treiben kam immer mehr zum Erliegen. Wir beschlossen daher irgendwann, die Community vorerst stillzulegen, damit die Bücher, die noch unterwegs waren, zu ihren Besitzern zurück kommen. Für die meisten Bücher klappte das auch und jedes dieser Bücher ist ein Erfolg. Doch leider blieben auch viele Bücher verschollen und somit unvollendet.

Lange hielt die letzte verbleibende Gründerin daran fest, die Webseite, die einige Bugs hatte, überarbeiten zu wollen, um nach einer Pause wieder mit neuem Elan durchzustarten, doch es passierte einfach nichts mehr. Irgendwann strich auch ich die Segel, frustriert vom erfolglosen Nachforschen. Zu einem Neustart der Seelenbücher kam es nie und ich glaube auch nicht, dass es irgendwann doch noch dazu kommen wird.
Manchmal frage ich mich, was man hätte anders machen können, oder ob es einfach unaufhaltsam war.

Meine eigenen Seelenbücher haben alle bis auf eines, das auf dem Postweg verschwand, den Weg wieder zu mir nach Hause gefunden. Wunderschöne Einträge sind darin und ich nehme sie immer wieder gerne in die Hand, um darin zu blättern. Manchmal frage ich mich, ob ich sie vielleicht wieder auf den Weg bringen könnte, damit sie irgendwann noch voll werden, doch wie und mit wem und überhaupt, das ist mir noch nicht klar.

Dieses Buch habe ich "Windows XIV" genannt



Darin ist Platz für 14 Fenster...

...und das, was man entdeckt, wenn man "durch" die Fenster schaut.

Das ist die Geschichte der Seelenbücher. Was denkt ihr darüber? Denkt ihr, das Projekt war irgendwann zu groß und hätte in einem kleineren Rahmen bessere Chancen gehabt? Was hätte man anders machen können? Habt ihr selbst schon an ähnlichen Projekten teilgenommen und hat das alles reibungslos geklappt? Wie sind eure Erfahrungen, habt ihr überhaupt Interesse an solchen gemeinschaftlichen Projekten?
Erzählt doch mal, ich bin neugierig und gespannt auf jeden Gedanken, der euch dazu kommt. :)

Bis bald,
eure Gerdi


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3 Kommentare:

  1. Das sind wunderschöne Bücher, die Du da zeigst!
    Deine Gedanken zum Einschlafen des Projekts hören sich für mich plausibel an. Ich würde noch etwas dazustellen: Evtl. auch die Schnelllebigkeit unserer Zeit. Ich habe jetzt schon einige Runden "Letter Journal" mitgemacht, kleine "Hefte" (Bücher sind das nicht) im Din lang-Format, die von fünf bis sechs Menschen bearbeitet werden. Das hat gut geklappt, aber nach vier Runden war ich erstmal gesättigt und habe ausgesetzt. Die anderen nach und nach auch, so ist die lockere Runde wieder auseinander- und eigene Wege gegangen.
    Ich glaube, Interesse an solchen Projekten ist da (kennst Du z.B. die Post-Kunst-Aktionen von Michaela Müller und Tabea Heinicker?), aber sie sollten zeitlich und personenmäßig begrenzt werden, damit sie nicht zu groß und unübersichtlich werden.
    Mit einer Gruppe haben wir das Problem, dass auf dem Postweg immer mal was verschwinden kann, übrigens so gelöst, dass keine Bücher herumgeschickt wurden, sondern jeder Doppelseiten in vorher festgelegter Größe gestaltet hat, die dann von derjenigen, die sie bekam, zu einem Buch gebunden wurden. So war ein Verlust gut zu verschmerzen und auch leicht zu ersetzen. Die Reihenfolge der Seiten war natürlich nicht optimal, aber das war eben so.
    Liebe Grüße von Frau Frosch

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    1. Vielen Dank für deinen Kommentar!

      Das klingt auch plausibel: man fühlt sich irgendwann "gesättigt". Das trifft auch ganz gewiss auf die Seelenbücher zu.

      Die Postkunst kenne ich natürlich und habe auch schon teilgenommen. Allerdings muss ich zugeben, dass das für mich immer sehr viel Stress war: Zeitdruck ist einfach nicht mein Fall. Dabei ist ja eigentlich immer mehr als genug Zeit, aber der Druck entsteht in meinem Kopf, so dass ich mir den Stress ganz von selbst mache. :)

      Das ist natürlich eine kluge Strategie, dass nicht die Bücher selbst, sondern die Einzelseiten durch die Welt geschickt werden. Verursacht natürlich gewisse Einschränkungen, aber ist auf jeden Fall ein sicherer Weg, um den Organisatoren und Organisatorinnen Zeit und Aufwand wegen fälliger Nachforschungen zu ersparen. :)

      Liebe Grüße,
      Gerdi

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    2. Den Stress und den Zeitdruck (den man sich selbst macht) kenne ich auch, aber so ganz ohne Termin fällt es mir gleich wieder schwer, überhaupt an die Arbeit zu gehen. Ich suche noch nach einer Lösung, die für mich gut funktioniert...
      Liebe Grüße von Frau Frosch

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